Marcello Bertocchi leitet seit Juni 2018 unweit des Gardasees den kleinen Spieleverlag XVGames unter dem Motto “a minute for the rules, a life for the game”. In den letzten zwei Jahren hat der junge Verleger 11 Spiele auf den Markt gebracht und sogar schon einen eigenen Autorenwettbewerb für seine Zielgruppe ins Leben gerufen. Der Designer-Wettbewerb „Smart Filler – international board game design contest“ läuft in diesem Jahr erstmalig.
Mit solchen Wettbewerben hat der Verleger selbst gute Erfahrungen. Gewann er doch 2018 fast den zurzeit erfolgreichsten Wettbewerb für Spieleautoren, den Premio Archimede. Mit dem abstrakten Duell FEUDALINK belegte er den zweiten Platz, u.a. begutachtet von Bernd Brunnhofer, Klaus Ottmaier, Philipp Sprick, Albrecht Werstein und Wolfgang Lüdtke. Die Italiener zelebrieren die Bekanntgabe des Siegers in einer Live-Stimmabgabe, die mit Duplosteinen dem Auditorium vorgeführt wird. Bis kurz vor Schluss war Bertocchis Turm der höchste, erst am Ende fing ihn Gian Andrea Cappuzzo mit dem Piratenspiel Jap ein. Lüdtke sicherte sich Bertocchis Idee für den Verlag Kosmos, der das Spiel in Nürnberg als AQUALIN vorstellte.
Marcello Bertocchi nutzt den eigenen Verlag nicht nur zu den Veröffentlichungen seiner Ideen, knapp die Hälfte der bisher erschienenen Spiele stammen von anderen Autoren, darunter sind durchaus renommierte Namen wie etwa Reiner Knizia zu finden. Dessen Idee CHARTAE ist 2019 in Essen erschienen, für den deutschen Markt hat es inzwischen Board Game Circus aufbereitet.
Reiner Knizia ist bei manchen Spielentwicklungen ein Meister der Reduktion. Mit EINFACH GENIAL hat er das exemplarisch vorgeführt. CHARTAE ist ein noch mehr reduziertes durchaus vergleichbares DOMINO-Derivat. In einem 3x3-Raster puzzeln zwei Spieler an einer Landkarte. Knizia reichen damit nur neun quadratische Pappplättchen für ein fünf- bis zehnminütiges Denkduell.
Im Stil alter Karten mit Schiffen, Meerungeheuern, Burgen und Vulkanen bastelt ein Spieler an einem möglichst großen Wassergebiet, der andere an exorbitanten Festlandteilen. Ausgehend von einer zentralen Windrose mit einer Land- und Wasserhälfte, werden die restlichen Teile orthogonal angelegt oder schon ausgelegte 90 Grad im Uhrzeigersinn gedreht. Damit nicht alle durch Drehorgien verwirrt werden, findet diese Aktion maximal zweimal hintereinander statt, sodass ein schnelles Ende absehbar ist.
Die Schlusszüge sind entscheidend. In die Kalkulation fließt ein, welches Landkartenteil, das stets offenliegt, folgt und was Drehungen für Veränderungen bewirken. Da geht es um Trennung gegnerischer Gebiete oder aber um Zusammenführung eigener. Wer anfangs meint, das könne doch mit nur neun Kärtchen gar keine große Herausforderung werden, reibt sich erstaunt die Augen, ob der Tiefe des einfachen Spiels. Brückenteile, diagonale Land- oder Wasserformationen ermöglichen erstaunliche Gebietsausweitungen. Von Vorteil ist, wenn beide Kartographen alle Teile kennen, dann wird das Ausreizen mit der zweiten Drehung und der folgenden Anlege-Verpflichtung zum Rechenkalkül. Es gibt immer gute Platzierungen und gute Rotationen, mit der Zeit bekommt man ein Gespür dafür. Mit wenig Material bietet Reiner Knizias CHARTAE kurzweiliges Spielvergnügen mit stets überraschenden Wendungen.
1988 hat Reinhold Wittig bei Hugendubel seine SPIELECOLLECTION No. 1 mit SPIELEN ZUR SCHATZINSEL veröffentlicht und dabei mit Kramer, Kobbert, Randolph & Co. die Crème de la Crème der damaligen Autorenszene als Projektteilnehmer dabeigehabt. Reiner Knizia war aber über Postspielentwicklungen Ende der 80er Jahre noch nicht herausgekommen, sein CHARTAE würde sich heute gut neben dem GEHEIMNIS DER SCHATZINSEL, der SEERÄUBER GMBH oder dem DUELL DER PIRATEN machen.
Wertung: Gerne morgen wieder
Titel: CHARTAE
Autor: Reiner Knizia
Grafik/Design: Michele Mor
Verlag: Board Game Circus
Alter: ab 10 Jahren
Spielerzahl: 2
Spielzeit: 5 - 10
Preis: ca. 12 Euro
Spiel 27/2020