Mittwoch, 18. September 2019
CONCERTO
Musik im Spiel ist nicht unbedingt ein attraktives Thema. Bis auf MAESTRO von Rudi Hoffmann, das Hans im Glück vor 30 Jahren eine Nominierung zum „Spiel des Jahres“ einbrachte, war bisher keine Spielidee so richtig erfolgreich. Mutig daher, wenn ein Kleinverlag mit seinem Spieleerstling in diesem Genre reüssiert.
Uwe Bursik aus Heuchelheim bei Gießen hat es gewagt, massiv unterstützt durch Till Meyer vom Spieltrieb-Verlag, der sich hier wieder einmal als produktiver Förderer des Erfindernachwuchses beweist. Bursik bedankt sich im Regelnachspann ausdrücklich bei Meyer und seiner Kollegin Nicole Stiehl für „die unfassbar wertvolle Unterstützung“.
Auf Meyers Hausgrafiker Christian Opperer hat Bursik allerdings (noch) nicht zurückgegriffen, sondern mit Zoë Gillies eine Grafikerin gefunden, die mit leichter Hand und etwas Ironie Cover und Karten seines Spiels illustriert hat. CONCERTO besitzt eine originelle Grundidee, die in vielen Kreisspielen für Kinder vorkommt, das Nachmachen und Wiederholen von Gesten. Thematisch koppelt er diesen Grundgedanken an die Gestik eines Dirigenten, der sein Orchester dirigiert.
Bursik bietet dazu seinen bis zu vier Dirigenten ein Orchester mit insgesamt neun verschiedenen Instrumenten an. Das reicht von der raren Orchester-Gitarre, die nur dreimal unter den 72 Karten auftaucht, bis zur fast inflationären Violine, die 14 Mal vorkommt. Mit fünf dieser Karten starten alle, zwei davon bilden das Start-Orchester. Die orchestrale Anfangsbestückung orientiert sich an der aktuellen Pulikumsnachfrage. Dazu werden drei Konzerte in drei Schwierigkeitsstufen offeriert. Auf der einfachen Stufe, die zwei bis vier Siegpunkte bringt, werden ein bis drei Instrumente gefordert. Auf mittlerem Niveau von fünf bis sieben Siegpunkten sind es zwei bis fünf Instrumente. Hier wird erstmalig die Orchestergitarre eingefordert. Auf hohem Niveau können dann bis zu 12 Punkte ergattert werden. Orffs Carmina Burana erfordert für das Dutzend aber sieben verschiedene Instrumente. Soweit bewegen wir uns noch auf dem Sammelniveau von Hoffmanns MAESTRO, wo es ebenfalls galt, zu vorgegebenen Musikstücken Instrumente auszulegen.
Das Besondere bei Bursik ergibt sich aus einer gekoppelten Auslage, die sich stimmig aus dem Musikthema ableitet. Jeder Instrumentenkarte, die vor den Spielern abgelegt wird, ist eine Dirigentengeste zugeordnet. Dazu wird ein Holzstein mit einem Gestensymbol wie beispielsweise einer Kreis- oder Stichbewegung verdeckt aus der Mitte aufgenommen, angesehen und dann mit der Gestenseite den Mitspielern zugewandt. Als Dirigent muss man sich nun merken, dass beispielsweise ein Kreisen des Taktstocks der Violine und der Stich der Trommel zugeordnet ist.
Wer am Zug ist, kann sein Orchester nur um eine Karte erweitern, dabei dürfen sich Instrumente nicht doppeln. Wenn das eigene Ensemble für ein angefordertes Musikstück ausreicht, darf dirigiert werden. Die Reihenfolge der geforderten Instrumente muss die Dirigenten exakt einhalten. Die Mitspieler kontrollieren die erforderlichen Bewegungen, die mit einem kleinen Taktstock vollzogen werden. Wer’s vergeigt, verliert Musiker und Gestenstein. Echte Maestros ernten den Lohn und die Siegpunkte, die sie auf einer Leiste bilanzieren. Sie müssen zwar auch ein Instrument und einen Stein entfernen, dürfen diesen aber frei wählen. In Vollbesetzung ist nach 20 Punkten und einer guten halben Stunde Schluss mit den Inszenierungen.
Neben den beschriebenen Aktionen können Sonderkarten mit Ärgerkomponenten zum Einsatz kommen, auch der Austausch von Handkarten oder Musikstücken ist möglich. Dass jemand Orffs Carmina Burana aufführt, habe ich nie erlebt, überhaupt wird das hohe Niveau eher selten angegangen. Wer aber eine Gitarre bekommt, sollte sie punkteträchtig einsetzen und sich deren Gestik genau merken, damit sie nicht das Orchester verlassen muss. Die Rocky Horror Picture Show bringt so die halbe Miete für nur vier Instrumente.
Bursiks erste spielerische Inszenierung weiß durchaus zu gefallen. Seine Kombination aus Memo und Gestik taugt als Familienspiel, in dem Kinder ihre Überlegenheit ausspielen können. Im Spiel mit Grundschülern würde ich aber auf die Sonderkarten verzichten. Das Austauschen oder Stehlen von Karten trägt nicht unbedingt zur Harmonie am Spieltisch bei. CONCERTO ist auch so ein äußerst interaktives Geplänkel. Da alle Optionen ausliegen, werde ich wahrscheinlich meine Rocky Horror Picture Show überhaupt nicht zur Aufführung bringen, da irgendein lieber Mitspieler mir die zehn Punkte nicht gönnen wird und diese schöne Karte unter dem Stapel der anspruchsvollen Stücke verschwinden lässt. Hier fehlt mir zumindest die einmalige Option einer Doppelaktion. Wer gut ist, hat ein großes Orchester mit möglichst fünf bis sieben Instrumenten vor sich ausliegen und kann sich alle dazu gehörigen Gestiken merken. Damit lassen sich viele einfachen Stücke bewältigen und manchmal die mittleren, ohne dass die Mitspieler intervenieren. Wer will, kann zur Maestro-Variante greifen, die stets neue Anforderungen für die Aufführungen bringt und die erforderliche Siegpunktzahl nach oben setzt.
CONCERTO ist ein beachtlicher Spieleerstling von Uwe Bursik, der ungewöhnliche Memoanforderungen zur Aufführung bringt, die mnemotechnisch interessant sind, da unterschiedliche Wahrnehmungskanäle angesprochen werden, die in der Kopplung zum besseren Einprägen führen. Regeltechnisch hätte ich den Einsatz der Sonderkarten nur optional vorgesehen, da sie nur frustresistenten Spielern zu empfehlen sind.
Die Umsetzung ist solide, die vielen Holzsteine für die Gesten ergeben den für das kleine Spiel stolzen Preis von knapp 30 Euro. Dem etwas klein geratenen Taktstock hätte der Verleger zumindest eine schwarze Lackfarbe spendieren können. Für die vier unterschiedlichen Kartenformen wären mir zur Sortierung vier Zip-Tüten lieber gewesen als die Gummibänder.
Uwe Bursik, der mir 2018 in Essen erzählt hat, dass er noch viele Ideen in der Schublade habe, belässt es nicht bei einem Spiel. Er wird 2019 die Musik im engeren Sinne verlassen und dem Summen von Bienen folgen. In dem Spiel AMBROSIA, diesmal mit Christian Opperer als Grafiker, treten die Kontrahenten als Nektarsammler auf. Überrascht hat Bursik außerdem damit, dass er den Vertrieb der Eagle-Gryphon Games für Deutschland übernimmt.
Wertung: Nächste Woche wieder
Titel: CONCERTO
Autor: Uwe Bursik
Grafik/Design: Zoë Gillies
Verlag: Skellig Games
Alter: ab 8 Jahren
Spielerzahl: 2 – 4
Spielzeit: ca. 30 Minuten
Preis: ca. 30 Euro
Spiel 60/2019
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